Unterstützung von Proteinfaltung und -transport als therapeutischer Ansatz bei Morbus Wilson
Morbus Wilson ist eine autosomal rezessiv vererbte genetische Krankheit. Es kommt nur zum Ausbruch der Krankheit, wenn beide elterlich vererbten Chromosomen schadhafte Genkopien tragen.
Hintergrund
Als Autosomen werden die 22 der 23 Chromosomen bezeichnet, die nicht Geschlechtschromosomen sind. Von jedem der 22 Autosomen existieren zwei Kopien. Man spricht von Diploidie. Bei Vorliegen von Rezessivität kann eine normale Genkopie (Allel) eine dysfunktionale Allelvariante komplementieren. Das für Morbus Wilson verantwortliche Gen, welches die Kupfer transportierende ATPase ATP7B kodiert (auch Wilson-Protein genannt), liegt auf Chromosom 13.
Mutationen treten zufällig und ungerichtet auf. Sie können theoretisch jeden Genomabschnitt betreffen und haben je nach ihrer Natur, ob einzelne DNA-Bausteine oder größere Bereiche betroffen sind, unterschiedliche Einflüsse auf die Funktionalität des Proteins. Eine sehr große Klasse von Mutationen führt zu punktuellen Veränderungen am mutanten Protein. Die Auswirkung dieser als missense bezeichneten sinnverändernden Mutation ist höchst variabel und kann nur schwer vorhergesagt werden. Generell gilt die Aussage, dass je größer der Schaden am Protein ausfällt, desto schwerer der klinische Verlauf der Krankheit ist. Darüber hinaus kann die Art der Genmutation der Schlüssel zu einer alternativen, individualisierten Behandlungsmethode beim Morbus Wilson sein.
Derzeit wird der Morbus Wilson unabhängig von der Genetik der Patienten mit Kupfer-Chelatoren und Zinksalzen behandelt, die zum Ziel haben, das angesammelte Kupfer in den Zellen der Patienten, speziell den Leberzellen, zu eliminieren. Es ist in einigen anderen Pathologien bekannt, dass missense-Genmutationen zu Proteinfehlfaltung und Destabilisierung des korrespondierenden Proteins führen, was einen therapeutischen Ansatz für eine molekulare Therapie mit sogenannten Pharmakologischen Chaperonen (PCs) darstellt. Bis zum heutigen Tag sind annäherend 500 verschiedene missense-Genmutationen entdeckt worden. Wir entwickeln Analysetools, deren Ziel es ist, die ATP7B-Mutationen zu identifizieren, welche durch eine Stabilisierung des Wilson-Proteins eine (partielle) Wiederherstellung verlorener Aktivität erfahren.
Ziel
Ersatz der Kupfer-basierten Therapie und der damit in Verbindung stehenden Nebenwirkungen durch eine Therapie, die mittels pharmakologischer Chaperone das veränderte Wilson-Protein refunktionalisiert.
Ergebnisse
In der Sektion für Translationale Neurodegeneration „Albrecht Kossel“ (vormals Albrecht-Kossel-Institut) der Universitätsmedizin Rostock konnten wir durch Anwendung bioinformatischer als auch molekular-biochemischer Technologien ermitteln, dass eine erhebliche Anzahl von ATP7B- Mutationen voraussichtlich auf PCs ansprechen können. Wir haben stichprobenartig 100 ATP7B- Mutationen, das entspricht etwas mehr als 20% aller vorhandenen missense-Mutationen, in einem zellulären Expressionssystem auf deren Responsivität auf das chemische Chaperon 4-Phenylbutyrat (4-PB) untersucht. Chemische Chaperone wie 4-PB haben die Eigenschaft, verschiedenste Proteine unspezifisch zu binden und deren Faltungseigenschaften positiv zu beeinflussen. Erste Ergebnisse weisen nach, dass 4-PB in etwa 50-70% der Mutationen einen nachweisbaren stabilisierenden Effekt auf das veränderte Wilson-Protein ausübt. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass dies noch kein Beleg für einen therapeutisch relevanten Effekt darstellt, da die Anzahl der ermittelten biochemisch respondierenden Mutanten voraussichtlich höher ist, als die Anzahl klinisch respondierender Mutanten. Inwiefern eine ausreichende Refunktionalisierung des Wilson-Proteins mit der beobachteten zellulären Erhöhung einhergeht, muss in Zukunft mittels funktionaler Tests gezeigt werden.
In unserem Labor entwickeln wir fortgeschrittene Wilson-Krankheitsmodelle, basierend einerseits auf Patientenzellen und andererseits auf Zellen, die mittels Gen-editing (CRISPR/Cas-Technologie, auch als Genschere bekannt), verändert werden. Beide Verfahren stellen eine Möglichkeit dar, effektive Wirkstoffkandidaten ressourcenschonend an mehreren repräsentativen ATP7B-Mutationen zu testen, indem der Nachweis erbracht werden kann, dass eine Normalisierung des Kupfertransports durch die Behandlung erfolgt. Darüber hinaus eruieren wir derzeit Möglichkeiten einer spezifischen Ansprechbarkeit des Wilson-Proteins mittels PCs, indem wir verschiedene Andockstellen auf deren Eignung als therapeutisches Ziel für einen pharmakologischen Eingriff untersuchen. Hierzu bedienen wir uns bioinformatischer Technologie, um Protein-Molekül-Bindungen tausender Substanzen aus großen Substanzbibliotheken zu simulieren, Bindungswahrscheinlichkeiten zu kalkulieren und somit potentielle Bindungspartner zu identifizieren.
Zum jetzigen Zeitpunkt kann die Frage nach der Anzahl von Patienten, für welche eine PC-Therapie in Frage kommt, allerdings noch nicht seriös beantwortet werden. Sie ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu gehören die Schwere des Funktionsverlustes der Wilson-Protein-Mutante, die Lage der molekularen Andockstelle des PCs und die Position der Proteinveränderung.
Aufruf zur Teilnahme an einer anamnestischen Studie zum Morbus Wilson:
Titel der Studie
EPIDEMIOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN ZUR GENOTYP-PHÄNOTYP-KORRELATION BEI PATIENTEN MIT MUTATIONEN IM ATP7B GEN (Registriernummer A 2019-0120)
Ziel der Studie
Charakterisierung epidemiologischer Merkmale von ATP7B-Genvarianten (Genotyp-Phänotyp-Korrelation) und in der langfristigen Perspektive die Prüfung der Eignung von Patienten für einen individualisierten Therapieansatz mittels pharmakologischer Chaperone. Bei Interesse melden Sie sich bitte bei:
Dr. rer. nat. Jan Lukas
Leiter der AG Medizinische Genetik
Sektion für Translationale Neurodegeneration "Albrecht Kossel"
Abteilung Neurologie
Universitätsmedizin Rostock
Gehlsheimer Strassße 20
18147 Rostock
Deutschland
Tel: +49-381-494-4894
Fax: +49-381-494-4796
E-mail: jan.lukas@med.uni-rostock.de